Donnerstag, 6. Dezember 2007

Stinketier

„Du Schwein!“

Der recht müde Versuch einer Beleidigung – noch nicht einmal gegenüber einem Gesetzeshüter verboten. Aber wie bei dem ein oder anderen „bildlichen“ Schimpfwort, denkt man kaum über den eigentlichen Wortsinn nach.

Anders in der Türkei: Selbstverständlich beginnt auch hier eine Einladung zum Tee selten mit den Worten ‚Du/Sie Schwein’. Dem Sinn des gesagten wird aber noch eine weitgehendere Bedeutung zugemessen. Woran das liegt, ist offensichtlich. Islam und Schwein, das lass’ sein. So stehts im Koran. Gut so.

Das führt dazu, dass die Schweinelobby in der Türkei ein kleine, oder nicht existierende ist. Außerdem lassen sich mit dem oben genannten Eingangszitat, noch echte Emotionen provozieren. Aus gut unterrichtet/den Kreisen drang die Kunde an mein Ohr, dass die Bezeichnung ‚Schwein’ immer noch kleine Jungen und Mädchen auf den Schulhöfen in „Konfliktsituationen“ geraten lässt…Ob das bei großen Jungen und Mädchen dasselbe ist sollen andere ausprobieren.

Natürlich fristet das Schweinchen in seiner bearbeiteten, essbaren Form ein Nischendasein. Der CarrefourExpress Supermarkt in Cihangir, bietet seinem westlichen Juppieklientel wenigstens eine kleine Auswahl – 200g Kochschinken für fast 10 euro. Dafür bekommt man anderswo schon ein halbes Rind. Die Gerüchteküche berichtet weiterhin von sog. Spezialitätenhändlern, die aus dem Schwein eine Spezialität machen und Spezialitäten sind ja bekanntlich teuer. Das liegt in ihrem Wesen und an der Tatsache, dass es einfach sonst nirgendwo totes Schweinetier gibt. Das ordinäre Schweinefleisch kommt in der Türkei also nicht ohne einen Hauch Exotik daher.

Seit inzwischen etwas mehr als drei Monaten hat sich kein Schweinefleisch mehr in meinem Magen breit gemacht. Dafür so mancherlei anderes wie Innereien von Lamm und Rind, das türkische Gehackte – denkt man jedenfalls am Anfang. Jetzt nicht mehr. Schmeckt aber trotzdem gleich.

Selbst dem letzten Kirchenverweigerer wird aufgefallen sein, dass der letzte Sonntag einer unserer vier Adventssonntage war. Hier eher nicht so. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Die Deutschen Schule Istanbul, hat das aber natürlich gemerkt. Und was macht eine deutsche Schule in Istanbul am ersten Advent: Einen Weihnachtsbasar. Und da mit das ganze auch noch schön aussieht schnell noch den Mantel des Guten Zwecks übergezogen. Der rechtfertigt ja bekanntlich alles. Auch einen Preis von fünf Lira für fünf Plätzchen.

Aus verschiedenen Gründen darf auf einem deutschen „Volks“fest eines nicht fehlen: Die Bierstube. Die Gründe für ein sehr zeitiges erscheinen vor Ort meinerseits, sind nicht sehr vielfältig, dafür aber um so Heimat verbundener. Die Marke mit den silberfarbenen Etiketten auf grünem Glas hatte auch Lust auf den guten Zweck. Und so kam es doch, dass Bier tatsächlich zum günstigsten Getränk der gesamten Karte mutierte. Jedenfalls fast.

Wesentlich teurer war aber unsere fleischige Spezialität: Schwein. Von der Meicawurst über Leberkäse hin zum guten alten Kasseler, gab es was das Herz begehrte. Natürlich nur das Herz von Deutschen und „Türken, die deutscher sind als die Deutschen“.

Ausgabestelle der Spezialität war die umfunktionierte Turnhalle der Schule. Ein Raum der die Bezeichnung Halle kaum verdient, aber genügend Platz für alle bot.

Viel bemerkenswerter war aber der Geruch: Beim ersten Schritt in die Halle war klar: So riecht Deutschland: Schweinefleisch, Sauerkraut, Rotkohl, Bier, Menschen. Letztgenanntes gibt’s es natürlich auch hier jeden Tag.

Aber es war unverkennbar der Geruch von Fleisch in der Luft. Und in diesem Falle, eben der von Schweinefleisch. Nachdem das Näschen sich nun 3 Monate entwöhnt hatte, schlug der Heimatgeruch entsprechend ein. Gleichzeitig kam aber auch ein gewisses Verständnis für die Bezeichnung Stink(e)tier auf. Selbstverständlich verströmen auch Lamm- und Rindfleisch ein eigenes Aroma, die Art und Weise des Schweinchens ist aber doch eine andere. Irgendwie aufdringlicher, präsenter und eben vielleicht auch ein bisschen „stinkend“. In Verbindung mit dem Biergeruch hing insgesamt das unverkennbare Odeur eines deutschen Landgasthofes in der Luft. Und das in der Deutschen Schule in Istanbul und alles für den guten Zweck. Ein schöner erster Advent – aber auch genug bis zum Wiedereintritt in den Vorweihnachtlichenkonsumterror. Mit Schweinefleisch.

...weil ja heute Nikolaus ist


Montag, 3. Dezember 2007