Freitag, 30. November 2007

Taksi!

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen,...“ (Kant)

Die gute alte Aufklärung.

Da werden Erinnerungen an den Geschichtsunterricht wach: auswendig vom Blatt vorgetragen, schier unendliche Minuten und Stunden an diesem ‚Herzstück’ der europäischen Geschichte bzw. Philosophie gesessen, viel gedacht und vielleicht doch weniger verstanden. Wie auch immer, die persönliche Aufklärung schien doch mit dem Ende der Schulzeit dankbarer weise beendet oder doch grade erst zu beginnen – jedenfalls bitte ohne auswendig gelernte Formel.

Grob hatte man den Sinn der Sache ja auch verstanden, freies Denken, Selbstverantwortlichkeit und sowieso: Könige und Monarchien gibt’s ja ohnehin nicht mehr. Völlig selbstverständlich das Ganze. Jedenfalls in Europa = ab auf geistige Abstellgleis, ganz nach dem Motto mal-gewusst-mal-gekonnt-aber-ich-bin-mir-da-nicht-mehr-so-sicher.

Und dann passiert es doch, dass im Istanbul der heutigen Tage ein Großangriff gegen die Aufklärung gestartet wird. Und das nicht im politischen Tagesgeschehen, sondern im Volke, wie man in der Politik sagen würde ‚an der Basis’, und das auch noch tagtäglich.

Der Istanbuler Straßenverkehr ist grundsätzlich ein Albtraum. Zumindest für den deutschen Durchschnitts StVO-Akzeptant. Trotzdem wird hier täglich bewiesen, dass Verkehr generell auch ohne großes Regelwerk funktionieren kann. Das dauert zwar ein bisschen länger als im vermeintlichen Idealfall, aber es kommt trotzdem jeder zur Arbeit und zurück. Und das Problem zu weniger, zu kleiner und zu schlechter Straßen für zu viel Verkehr ist in Istanbul ein fast unlösbares.

Die Verkehrswege werden zu gefühlten 20% von Bussen, 40% von Taxis und einem großen Sammelsurium von allerlei Motorisiertem überfüllt.

Eindeutig die aktivste Verkehrsgruppe sind die Taxifahrer. Und genau hier liegt auch der Anfang vom Ende der Aufklärung verborgen. Ein Taxifahrer glaubt hier an genau drei Dinge: 1. Jeder Verkehrstau lässt sich alleine durch die Hupe auflösen (was ein geräuschintensiver Irrglaube ist). 2. Es gibt immer noch einen Platz für ein Taxi – rechnerisch passen auf zwei Fahrspuren nun einmal vier Autos. Und 3. Ein Tourist hat keinen freien Willen (was am Ende in einem noch geräuschintensiveren Irrglauben endet). Das bedeutet, dass jedes nicht türkisch aussehende Wesen angehupt wird. Völlig unabhängig von der Tageszeit, unabhängig davon ob es geht oder steht, Bereitschaft zur Mitfahrt signalisiert, sich unterhält oder eine Straße überqueren will – einfach immer. Als ob der Ausländer nicht eigenständig auf die Idee kommen würde im Bedarfsfall ein Taxi zu ordern oder wenigstens die Hand zu heben oder sich umzudrehen oder was auch immer.

Im Ergebnis sieht das dann so aus: die Gasse, in der ich zurzeit wohne mündet in eine etwas größere Straße, die eine Zugangs “Rally“ für Taxis zum Taksimplatz (d.h. Verteiler und hat nix mit Taxi zu tun)ist. Ab sechs Uhr abends bis ein Uhr nachts ist auf dort stau, ab zehn Uhr am Wochenende wird dann eigenständig eine Einbahnstaraße einberufen. Der Gegenverkehr muss warten. Und wie es der Zufall nun einmal so will, sehe ich halt aus wie eben genau einer dieser geistig unmündigen Touristen – jeden Tag. Also kann ich mir auf dem Weg ins wohlbehütete Heim ein kleines Privathupkonzert anhören. Ganz für mich alleine aufgeführt von gezählten sechzehn Taxis. Nur für mich, falls ich auf die Idee kommen sollte vielleicht ein Taxi zu wollen und das nicht bei den vorherigen fünfzehn gemerkt hätte…

In den Augen des Taxifahrers bin ich wohl noch nicht aus meiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herausgetreten, sondern hänge insbesondere im Taxifindungsverfahren noch mittendrin.

Und weil’s so schön ist geht der Spaß heute auch wieder mit einem Zitat zu Ende:

„Byrun, Taksi“ (x3)

was so viel bedeutet wie: „Bitte schön ein Taxi“ und die ‚Hupe’ des ausgestiegnen, Tee trinkenden, immer auf Kundenfang seienden Taxifahrers ist. „Hayir, sag ol!“

Sonntag, 25. November 2007

Uni (2)


Aus Istanbul bloggts wieder…

Erstmal einen kleinen Nachschlag zur Uni:
Mit der ersten Schlägerei auf dem Campus seit drei Jahren, wurde freundlicherweise auf mich gewartet. Tesekür ederim!
Die vielen ‚Hören-sagen Berichte’ über „krasse Schlägereien“, „die Istanbul Universität?! da gings früher echt ab…“, „da gabs früher echt gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen politischen Studenten“…wurden nun für mich ein wenig farbiger ausgestaltet.

13.00 Uhr, Kantine juristische Fakultät: ein Raum im Keller, 10x25m groß, ikea-bunt bestuhlt. Auf der Speisekarte stehen Toast, Milchbrötchen mit Pommes (patates sandwic) inkl. Ketcup und Majonese, Hamburger (Brötchen mit Pommes, 2mm Fleisch und einer sauren Gurke), Wurstsandwich, Softdrinks aller Art und natürlich Cafe und Tee – also durchaus Pommesbuden-niveau. Die Preise sind besser, beim Rest ist man sich nicht so ganz sicher…
Selbstverständlich wird an jedem Tisch geraucht. Das auch nicht erst seit gestern. Dementsprechend sind die Wände getönt. OP-Saal-neon-Beluchtung trifft auf das milde gelb einer seit 10 Jahren nach Anstrich jammernden Wand, deren Ruf nicht erhört wird. Alles in allem also ein Platz, an dem sich die Studenten pudelwohl fühlen, dessen Anziehungskraft auf Freunde der haute cuisine aber doch in Frage gestellt werden darf.

13.01 Uhr, die gesammelten Erasmusstudenten der Istanbul Universität versuchen geschlossen die Kantine zu betreten. Bei drei Menschen und einer ca. 4 m breiten, 10 stufigen Treppe ein nicht allzu schwieriges Unterfangen. Sollte man meinen. Schwieriger wird es aber wenn auf der besagten Treppe ungefähr das gesamte männliche Securitypersonal der Uni versammelt ist - die Frauen müssen derweil die Stellung an sämtlichen Eingängen des Campus halten, auf dass auch bloß kein Fremder „unseren“ kleinen, aber eben doch sehr unspektakulären Hochsicherheitstrakt betritt. Zu den versammelten, ca. 20 Secruritymenschen (-beamten wäre hier natürlich völlig falsch. Von erhöhtem Verdienst darf hier wohl nur geträumt werden. An einer Uni, in der selbst die Professoren z.T. einmal in der Woche an einer privaten Universität lehren, um auf ihr Geld zu kommen…) gesellen sich noch weitere 15 wichtig aussehende Menschen mit Anzug und Funkgerät.
Für die kleinen Erasmusdeppen, die ja überall dümmlich grinsend hineinwackeln und vermeintlich (und leider auch in Wahrheit) von alldem nichts verstehen, alles gar kein Hindernis. Kaffee an der Kasse bezahlen, Kaffee an der Theke abholen, den letzten freien Tisch ansteuern, vom Nachbartisch zwei Stühle ergrinsen und zu guter letzt den leeren Kaffeebecher vom Vorgänger mit seiner neuen Funktion als Aschenbecher bekannt machen.
An einem der anderen Tische haben ein paar Studenten einen Beamer aufgebaut. Vor der möglichen Projektionsfläche sitzen drei Menschen im (Test)bild – wir. Egal, noch läuft ja nix, erstmal abwarten, die Securitys gucken auch alle so angestrengt. Mal sehen ob da überhaupt was passiert. Berk(e) setzt sich an unseren Tisch. Berk(e) kann deutsch: Erasmus in Augsburg.
„Berk was machen die ganzen Leute hier? Wollen die nen politischen Film zeigen? Meinst du das gibt hier gleich noch Ärger?“ – „Hmmm weiss ich nicht, keine Ahnung wer die Studenten sind und was die genau wollen…“ Spricht’s und schon geht’s los. Unter einem scheinbar international gleichen Gebrüll bewegen sich die Kampfparteien durch die Kantine. Tische und Stühle, die im Weg stehen werden auf scheinbar ganz natürliche Art und Weise an einen anderen Ort „versetzt“ und auch wir bewegen uns nun in nicht mehr ganz so gemäßigtem Tempo um den Mob herum in Richtung Treppe, dort wird mein sich boxender „Securityfreund“ vom Studenteneingang „Kütüphane“ grußlos links liegen gelassen und erstmal draußen sein.
Nach und nach folgen uns Studenten, im gnadenlosen Griff der Securitys – auch in der Türkei gewinnt am Ende doch fast immer die Mehrheit…
Worum es nun wirklich ging weiß nachher keiner. ‚Bestimmt irgendwas mit der PKK oder irgendwas mit den Kommunisten’ ist unsere These. Eine bessere These von Seiten der türkischen Studenten wird uns auch nicht unterbreitet. Die betroffenen Studenten tragen auch nur insoweit zur Aufklärung bei, als dass sie lautstark darauf hinweisen, der Beginn der Kampfhandlungen sein den Security zu zurechnen. Das mag stimmen, für mich sah es auch eher so aus, aber am Ende ist so was ja immer schwer zu sagen.
Wie auch immer, 10 Minuten später geht alles seinen gewohnten Gange fort. Berke(e) war das ganze peinlich. Das verstehen wir nicht ganz, warum es ihm jetzt peinlich ist, wenn wir sowas sehen. Egal, er muss weg, wir auch, und der Mob ist ja auch schon längst aufgelöst. Bis auf den nächsten Kaffee in der Kantine dann.

Montag, 12. November 2007

Musik

und nochwas: Wer Lsut auf türkischen Rock hat: Bitte sehr.
Die Band heisst Mor ve ötesi. Heisst so viel wie: Lila und weiter (oder Jenseits) ?!
hab noch mehr. hier erstmal das Internetmusikstübchen der Band.
... leider ein paar Tage zu spät: Sind grade auf Deutschlandtour. Berlin und Köln sind schon vorbei.

myspace.com/morveotesi

Uni (1)

Übermut, der; -[e]s [mhd. übermuot, ahd. ubermuot]: 1. ausgelassene Fröhlichkeit, die sich in leichtsinnigem, ...

so die Umsonstantwort bei duden.de.
Die ausgelassene Fröhlichkeit: Hervorgerufen durch eine einmalige Behandlung in der Univesität. Als erste deutschsprachige bzw. nur deutschsprachige Erasmusstudenten an der Istanbul Üniversitesi fällt einem vieles leicht. Das Zauberwörtchen "Erasmus Ögrencisiyim" öffent einem alle Türen und Toren.
So werden extra für uns eigene kleine Lehrverantslltungen auf deutsch oder englisch eingrichtet. Oder der Professor gibt Buchempfehlungen für deutsch- bzw. englischsprachige Bücher.
Ausserdem spricht einen jeder Student an und offeriert seine Hilfe. Viele können auch ein bischen Deutsch und oder waren auf der deutschen Schule Istanbul.
Nach 2 Wochen ist man bekannt wie ein bunter Hund. Jeder ruft einem ein freundliches "Yuhannes n'apiyorsun?" (frei: Johannes, was geht?) hinterher.
Zentrale Anlaufstelle ist für mich der Raum des Sportclubs (spor külübü) geworden. Nachdem ich meiner verrauchten Lunge mal was gutes tuen wollte und mich offiziel im Team der juristischen Fakultät angemeldet habe, stellte sich heraus, dass eigentlich immer irgendjemand der Mannschaftin besagtem Raum rumhängt. So nun auch ich. Es kommt und geht wer gerade Lust und Freizeit hat. Alles sehr nette Leute. Viele neue und sehr nette Arkadaslar (Freunde).

Der Grund für leichtsinniges Verhalten:
Ein paar krude Versuche Türkisch zu sprechen, die zumindest damit endeten, dass dem gegenüber klar war, was ich sagen wollte. Ausserdem ein paar umgangsprachliche Gesprächseinleitungsfetzen, die fast sogar cool klingen.

der Vorlesungssaal

Das leichtsinnige Verhalten: Der Versuch eine Vorlesung zu Besuchen und etwas zu verstehen.
1.Versuch: Theory of Democracy (Demokrasi Kuramı)
Der Professor kennt mich, weil ich schonmal bei ihm war, um nach Büchern zu fragen.
Ich komme rein: 90% der Anwesenden (ca.60 Leute) schauen mich fragend an.
Der Professor schaut mich etwas weniger fragend an. "Ahh Johannes." Dann kommt die Vorstellung, dass ich ein Erasmusstudent sei. Das verstehe ich. Es folgt etwas was ich nicht verstehe: Erste Lacher in der Runde. Es folgt noch etwas, wobei ich nur meinen Namen wieder erkennen kann: Fast nur noch Lacher in der Runde.
- Türkische Bekannte übersetzt kurz: "Er hat gesagt, dass du ja schon mehr türkische Freunde hättest als er..." - "ahh.." dümmliches grinsen.
Ich verstehe ausser Worten wie "Athena, Demokrasi, Türkiye usw." leider gar nichts.
2. Versuch
Nicht entmutigen lassen. Also Freitag Morgen direkt zur nächsten Vorlesung: Verfasungsrecht I (Anayasa Hukuku I). Der Professor kennt mich nicht. Trotzdem schauen gefühlte 90 % der Studenten auf, als ich den Raum betrete. Diesmal keine Vorstellung und keine Lacher. Schonmal kein schlechter Anfang...
Bleibt leider auch das einzig positive: Ich verstehe absolut überhaupt nichts. Noch nicht einmal das Thema.
Zu meiner Beruhigung wird mir später erzählt, dass das den türkischen Studenten nicht anders geht. Soll wohl der schlechteste oder zumindest am schwersten zu verstehende Dozent der Uni sein...
Mir ists egal. Ich werde es im nächsten Semester noch einmal versuchen. Für dieses reichts bzw. eben nicht.

Teile des Campus. Die Moschee ist nicht auf dem Unigelände. Zwischen Garten und Gotteshaus liegt eine Starsse und ein großer Graben

Donnerstag, 8. November 2007

Nachbarn

endlich:
Jetzt gibt es nur noch eine Grenze im Osten der Türkei, dei fast ohne mediale Aufmerksamtkeit auskommt. Aber das kriegen die Armenier auch noch hin.

Georgien: Seit heute der Ausnahmezustand in Tiflis! Angeblich sind die Russen auch noch mit im Spiel
Armenien:Wie gesagt freidlich und anscheinend auch zu recht stolz drauf...Armenian News
Iran:Da muss man wohl kaum mehr was zu sagen
Irak (inkl. PKK-Norden bzw. Kurdistan): Da muss man wohl noch weniger zu sagen
Syrien: Fast schon alte Schule im nahen Osten.

und in Istanbul: merkt man herzlich wenig von alle dem. Nur mit ein paar Studenten kann man mal so ein Thema anschlagen. Aber da sind die Meinungen meist alle aehnlich.

Nun ja wenn die Türken jetzt auch nicht zur Europameisterschaft fahren und die Griechen mit König Rehakles schuld sind, gibts wohl nur noch die Bulgaren. Die Liebe zu den Armeniern haelt sich ja sowieso in Grenzen

Samstag, 3. November 2007

Fotos

und noch ein paar Fotos:

... ja ja die türkische Preispolitik (es geht um Fleisch)
Beflaggung des Taskimplatzes am Republikfeiertag...

Digitalismus

Gestern war ich Besucher einer feinen Elektrosause. Und das in Istanbul. Da ist man ja aus Berlin einiges gewohnt. Und so kam es dann auch das die auflegenden Herren aus der Heimat kamen. Unter dem Namen "Digitalism" traten sie an, den Istanbuler Indigo club zum kochen, die Masse zum Schwitzen, das Volk zum Ausrasten und die Druppies zum "Wuhu" schreien zu bringen: Es hat funktioniert. Grandioses Gezappel in herrlich überfüllter Atmosphäre ließen dann auch schnell den erhöten Eintrittspreis vergessen. Ich fühlte mich für Stunden bestens unterhalten und meine dancing-shoes wurden in anständigem Maße ihrer Bestimmung zugeführt.
Allerdings wurde der Digitalismus nur von 50 % seiner Mitglieder representiert. Das zweite Mitglied der "wir-waren-auf-dem-kulturspiegelcover-und-sind-der-hype-der-stunde" Band hielt sich vornehm zurück. Egal, auch das halbe Team hat gerockt. Insgesamt also ein feiner Abend. Nur zum empfehlen. Geht hin und tanzt.
Bis dahin: myspace.com/digitalism