Dienstag, 19. Februar 2008

Seehandels- und Versicherungsrecht

Ich bin Stammkunde. Seit letzter Woche. Drei Besuche im selben Geschäft, alle mit Bargeldtransfer zu meinen Ungunsten abgeschlossen. Das lässt mich wohl hoffentlich wenigstens in den erweiterten "Kundenstamm" eintreten.
Der Name meiner neuen Edelboutique ist 'çetinkaya'. çetin bedeutet angeblich "hart, heikel, kniffelig, schwierig, subtil, verzwickt" und kaya "Fels"... Das bietet nun wirklich gehörig Platz für Zusammensetzungsversuche: Das heutige Belustigungsgimick für den Leser.
Um auch weiterhin ein vorbildlicher Erasmusstudent zu sein, der seinen Aufenthalt ganz im Zeichen der Charta verbringt, wird das Drittel des 'kulturellen Austausches' für mich ganz groß geschrieben - ein paar Teile des Studiendrittels sind vielleicht auch zum kulturellen Austausch umverteilt worden.
Das heisst also es wird sich türkischer angezogen. Entgegen eventuell bestehende Vorurteile bedeutet dies: besser. Jedenfalls als der Durchschnitts Deutsche. Die Jeans als Massenerscheinung hat hier einen schweren Stand gegen die klassische Hose, ob Tuch- oder Baumwoll-. Ausserdem kommen "dem Türken" fast auschliesslich Lederschuhe an die Füße. Die gibt es im wahrsten Sinne des Wortes an jeder Strassenecke für kleines Geld. Lackschuhe in allen Variationen, mit oder ohne Schürsenkel, Stiefel oder Slipper, Model-Opa oder Model-Django. Ab 10 Lira ist man im Rennen.
Abgerundet wird das Erscheinungsbild dann durch ein Hemd. Natürlich auch wieder in allen Farben und Preisklassen.
Selbstverständlich sieht auch nicht jeder so aus, aber im Durchschnitt setzt sich die Kleidung der meisten Menschen doch zumindest aus zwei, der drei genannten Teile zusammen.
Also gabs für mich: Einmal Anzug schwarz, einmal Hemd blau, einmal Hemd weiss, einmal Hose grau, einmal Pullunder schwarz und neunmal Herrensocken schwarz. Die feinen Schühchen hatte ich aus Deutschland mitgenommen.
Wesentliche Teile meines Einkaufs kombiniert ergeben dann: den Uniformjuristen.
Dieser leider auch nicht kostenlose Kaufrausch war auch weder Resultat einer großen Geschmacksverirrung noch eines 'Relaunchs der Marke' bzw. von mir. Vielmehr ruft die Arbeit. Nicht bezahlt und mit zweifelhaftem Sinngehalt: Ein Praktikum.
Dank der tollen Unterstützung meiner Istanbuler Erasmuskoordinatorin, bekam meine legere Frage "Kennen Sie eigentlich einen Anwalt bei dem ich vielleicht ein Praktikum machen könnte - es müsste aber in den Semsterferien sein", innerhalb von zwei Gesprächen Realität. Für mich doch etwas unvermittelt, aber wer fragt ist ja selber Schuld, und ausserdem wünschen sich das meine Freunde aus dem Berliner Prüfungsamt so sehr, dass ich gleich drei Monate machen darf - aber nur innerhalb der Semesterferien. Sonst wird man ja beim Studieren gestört. Eine erstaunliche Häufung von Unwahrheiten in einem solch kurzen Satz.

Also gings los. Ach ja, was machen die denn überhaupt?! Das fragte ich zuerst mich, dann meine Koordinatorin und dann wieder mich: Seehandels- und Versicherungsrecht.
Nach zwei Wochen kann ich sagen: Ich weiss worum es geht: Vorallem Schiffe, in jeder Art und Weise. Oder auch das Geld, was man braucht um Schiffe zu kaufen, zu reparieren oder auch als Versicherung zu sagen: Wir zahlen nicht (das passiert relativ häufig). Weiterhin können Schiffe auch kaputt gehen, Feuer fangen oder die Ladung geht kaputt oder fängt Feuer oder alles zusammen.
Das Büro ist klein aber fein. Der Chef ist 45, damit aber auch schon der Alterspräsident. Das kann der Atmosphäre nur guttuen. Nette Leute, guter Kaffee (den ich nicht selber machen muss) manch spannende Minute.
Meine Rolle ist natürlich begrenzt: Ich bin der Praktikant. Ich kann kein Türkisch. Besonders letzteres steht einem komplett ausgefüllten Tagesablauf doch ab und an im Wege. Dafür arbeite ich mich langsam aber sicher durch die englischsprachige Fallhistorie der Kanzlei. Türkische Gerichtsgebäude werden in ihrem Leben auch keine Schönheitspreise mehr gewinnen. Dafür sehen die Anwaltsroben ganz chic aus: Ein bordeauxroter Stehkragen auf schwarze Robe abgesetzt mit ein wenig grün und gold.
Eher grün im Gesicht werde ich aber bei den Arbeitszeiten: jeden Werktag von 9 bis 18.30. Nach zwei Tagen wurde mir klar: das ist anstregend. Nach vier Tagen war ich dauerhaft müde und am sechsten Tage fiel mir auf: Ausser dem Wochenende bleibt einem doch recht wenig Zeit für 'Hobbies'.
Mit diesen revolutionären Gedanken konfrontierte ich dann in der Kaffepause auch einen der Anwälte. Er guckte mich mild lächelnd an und sagte: Hobbies?, hab' ich seit Jahren nicht mehr, wenn dann am Wochenende. Das saß. These mit überwältigendem Erfolg bestätigt. Schade.
Am nächsten Tage, bei selbiger Gelegenheit: Rifki (Name) du siehst müde aus, noch lange an dem Dossier gesessen?. Ja, ich war bis um zehn im Büro und hab dann zu Hause weitergearbeitet. Und wie lange hast du dann geschlafen? Gar nicht, seit 36 Stunden.
Ist es der Sinn eines Praktikums den Leuten jegliche Freude am Beruf zu vertreiben?
Aber es soll ja auch zu viele Juristen geben...



Für Wetterinteressierte: Es liegt viel Schnee, quasi 'subtile Felsen, ganz aus Schnee'

Dienstag, 5. Februar 2008

Ankara

Nach fünf Monaten ist mir unglaubliches gelungen: Ich habe es geschafft Istanbul zu verlassen.
Dem Millionen(mo)loch den Rücken gekehrt und raus. Und weils so schön ist in großen, winterlich verdreckten türkischen Städten gleich die zweitgrößte Perle dieser Gattung gewählt. Ankara.
Entgegen aller Hinweise und kritischen Fragen der türkischen Freunde, was man denn in Ankara wolle und insbesondere zu "dieser!" Jahreszeit, wurde das Zugticket gekauft und los gings.
Zug fahren ist in der Türkei auch wunderbar günstig. Für 20 Lira, also ca.12 Euronen gibts den Fahrschein. Inklusive einer ganzen Menge Beinfreiheit: Trotz großem Andrang auf der Strecke werden alle Waggongs nur mit drei Sitzen pro Reihe besetzt, Kaffee, Tee und Bier werden zu studentenfreundlichen Preisen serviert. Davon träumt der deutsche Bahnreisende, Albträume verursacht aber leider die Geschwindigkeit. Acht Stunden dauert die Fahrt insgesamt. Da bleibt vom so genannten Cumhuriyet Expressi höchstens noch die Cumhuriyet (Republik) übrig - und auch da sind sich die Leute ja nicht ganz einig.

Die nächtliche Unterkunft gewährte uns dann freundlicher weise ein Bekannter. Leider floss in seinem Hause grade keine Wasser - Rohre eingefroren. Das wird sich wahrscheinlich bis März auch nicht mehr ändern... Dafür zahlt er für seine Wohnung in 4 Monaten soviel, wie ich in einem. Und einen Garten und anatolische Dorfatmospähre gibts auch noch gratis dazu.

Des Tages verschrieb sich unsere kleine Reisegruppe dann ganz dem Tourismus. Und da gibt es in Ankara erstmal nur das eine: Das Atatürk Mausoleum (ANITKABIR - Grabstätte).
Ein wunderbares Gebäude, das insbesondere durch seine Architektur besticht. Auf der Internetseite des 'Kultur und Tourismus Ministeriums der Republik Tü
rkei' wird die Architektur wie folgt beschrieben: "Der Zeitraum 1940-1950 wird in der türkischen Architektur als "II. Nationale Architektur Zeit" genannt. In dieser Zeit wurden Gebäuden errichtet, deren monumentale Eigenschaften nachdrücklich auftraten, die Symmetrie vorwiegen, Schnittsteine verwendeten. Das Anıtkabir hat die Eigenschaften dieser Zeit an Sich." - eine Erläuterungstafel vor Ort erklärte das ganze dann noch weiter: Im Jahre 1940 wurden 3 Architekten beauftragt, den Komplex zu errichten: Ein Türke, ein Deutscher und ein Italiener. Was sich wie ein schlechter Witz anhört, war aber keiner. Also viel Symetrie und viel monumentale Eigenschaften.

Ausserdem gibt es noch eine Zitadelle zu besichtigen, die weder über der Stadt schwebt noch trohnt, aber trotzdem da ist. Im vorhinein wurden wir schon darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um eine im deutschen Denkmalschutz-gedächtnis-stile renovierte, schnuckelige kleine Burg handele, sondern es noch Mauern und Umgebung im 'ursprünglichen' Zustand zu sehen gäbe. Ja, ja kein Problem denkt sich der Student, da gibts was zu sehen. Also rauf auf den Hügel und rein ins Vergnügen. Dieses verging uns allerdings etwas, nachdem wir die an die Zitadelle grenzenden Häuser sahen. Kleine Holz-, Lehm- oder Betonhäuschen, vereiste Matschpisten, kleine Vorgärten ohne jegliches Grünzeug, einen kleinen Kiosk und streunende Hunde. Aber die kannten wir ja schon aus Istanbul. Nach ein paar Minuten gesellten sich dann auch noch drei kleine Strassenjungs an unsere Seite. Die konnten immerhin mehr Englisch, als so mancher Schulabsolvent - 'What's your name?', 'Photo?', 'Where are you from?'. Bei der Verfolgung unserer langen Schritte verlor der eine seine Schuhe - um Nummer zu groß. Jacken hatte keiner an, obwohl es unter Null war und einen sauberen Waschlappen hatten die kleinen, frangenden Gesichter schon lange nicht mehr gesehen. Alles gepaart mit einer fast grenzenlosen Naivität.
Trotz klarstem Wetter, untergehender Sonne und großartiger Sicht, war das Panorama doch getrübt. Nicht nur unsere kleinen Freunde erzeugten eine Mischung aus Unwohlsein und Mitleid, insbesondere die Aussicht gab Grund zum Nachdenken: Nach altem osmanischem Recht durfte ein Haus, das über Nacht auf öffentlichem Grund und Boden errrichtet wurde nicht mehr abgerissen werden. Dieses (Gewohnheits-)Recht wird auch heute noch "benutzt" bzw. angewandt. Der Name dieser einfachen Behausungen ist: Gecekondu.
Auf diese Weise entstehen an den Rändern der Großstädte sog. Marginalsiedlungen. Keine wirklichen Slums, es gibt zumeist schon Strom, aber wie bei unserem Gastgeber, friert im Winter halt schonmal das Wasser ein, und befestigte Straßen entstehen auch erst mit der Zeit. Die Einwohner dieser Viertel kommen aus den sozial schwachen Schichten, meist Bauern aus Anatolien, die in der Stadt ihr Glück suchen. Auf diese Art und Weise sind die Bevölkerungszahlen sowohl von Istanbul als auch Ankara in den letzten Jahren geradzu explodiert.
In Istanbul kommt einem diese Realität zum erstenmal im Bus zum Flughafen ins Bewusstsein. In Ankara aber beim Blick von der Zitadelle. 15 Minuten Fußweg von der Innenstadt, in absoluter Nahdistanz - Das kam dann schon etwas überraschend und verstärkte den persönlichen Eindruck einer großen und zum Teil fast greifbaren Trostlosigkeit.



Der Versuch das Parlament zu betreten wurde nach 9 Stufen von einem freundlichen Soldaten mit einem einfachen 'No!' beendet...

Samstag, 12. Januar 2008

Regeln, Rot und Blau

Wieder zurück. Wieder da. Wieder hier.
Wie auch immer, der Wiedereintritt in die Istanbuler Halbwelt ist geglückt. Und aus dem Wiedereintritt wurde auch ganz schnell ein erneuter Wiederaustritt: Der dritte Umzug in vier Monaten - ein Mietnomade im etwas anderen Sinne.
Keine drei Stunden nach meiner Ankunft klingelt das mobile Telefon. Johannes ein Freund hat in seiner Wohnung ein freies Zimmer: Willst du es haben? Ach ja, bist du eigentlich schon wieder in Istanbul? Wie immer: erst das Geschäft, dann das Private...
Abends die Wohnung angeschaut, die berüchtige einmal-drüber-schlafen-bedenknacht erbeten, und am nächsten Tag umgezogen. Es kann doch alles so einfach sein.
Na ja jetzt gibts keine Küchenschaben mehr, auch keine deutschen Mitbewohner, dafür aber eine Tür, ein richtiges Bett, einen Tisch und einen Stuhl, ein bisschen Schimmel und kein Tageslicht - ein Traumschloss. Ausserdem gibts es noch einen weiteren Höhlenbewohner: Orkun, Türke, geht auf die dreissig, hat kaum Haare auf dem Kopf und bringt tagsüber Menschen bei, wie man die Kaffeemaschinen im Gloria Jeans Cafe bedient.

Zweieinhalb Wochen in der Heimat haben aber auch ihre Spuren hinterlassen: Deutschland deine Regeln! Ein Traum. Im Leben gewisse Dinge als vorausberechenbar und funktionierend anzusehen ist schön. Und noch schöner ist es wenn auch alles wie vorausberechnet funktioniert. Und ach wie schön ist demnach Deutschland.
In der Türkei muss zu dieser vermeintlich simplen Rechnung, noch ein kleiner Faktor hinzuaddiert werden: Chaos. Durch eine gute Protion des eben genannten wird sowohl das Vorausberechnen, als auch das Funktionieren schwieriger - für den Westeuropäer noch schwieriger.

Wie so manche Wohnung hat auch die neue eine Dusche. Noch keinen Duschvorhang. Keine Heizung. Aber ein Toilette und ein wenig Schimmel. Ausserdem macht duschen mehr Spaß, wenn das Wasser warm ist. Gerade im Winter. Und weil Regeln und Systeme das Leben ja einfacher machen, hat man warm mit rot und kalt mit blau "verbildlicht".
Also ab in die Dusche, Wärme produziert nur der Durchlauferhitzer, und schön den roten Hahn gedreht. Wasser kommt. Wasser ist kalt. Warten. Wasser ist immer noch kalt. Mal den blauen Hahn drehen. Wasser kommt. Wasser ist kalt. Genervt sein und nicht warten. Noch mehr genervt sein in Aussicht einer klaten Dusche - Sparprogramm: nur die Haare waschen. Später Orkun fragen, wie das mit dem Gerät funktioniert.
Nächster Tag: Vergessen Orkun zu fragen. Dieselbe Duschsituation. Wieder bei rot kein warmes Wasser zu bekommen. Dieses mal muss der Körper aber wirklich mal unters kalte Nass: 15 Minuten duschen folgen: Linker Arm unters Wasser, Erfrierungen dritten Grades, eine Minute warten. Rechter Arm unters Wasser und so weiter. Beim Kopf tuts dann irgendwann auch weh und beim Rest sowieso. - Auf jedenfall Orkun fragen wie das geht, verdammt.
Abends: Johannes: "Orkun, how can I turn that fu... water in the shower hot?"
"Ahh, Jooohannes very easy." "No it is cold all the time"
Orkun betritt die Dusche, dreht den blauen Hahn und wartet. Johannes: "But thats the one for the cold water, I used the red one. Thats hot water..." Orkun wartet, das Wasser wird warm, beim blauen Hahn, Orkun guckt mich an:

"Johannes, if you were a Turk, you know that the colour doesn't mean anything"

... hätte ich besser auch mal beim blauen Hahn gewartet.