Dienstag, 5. Februar 2008

Ankara

Nach fünf Monaten ist mir unglaubliches gelungen: Ich habe es geschafft Istanbul zu verlassen.
Dem Millionen(mo)loch den Rücken gekehrt und raus. Und weils so schön ist in großen, winterlich verdreckten türkischen Städten gleich die zweitgrößte Perle dieser Gattung gewählt. Ankara.
Entgegen aller Hinweise und kritischen Fragen der türkischen Freunde, was man denn in Ankara wolle und insbesondere zu "dieser!" Jahreszeit, wurde das Zugticket gekauft und los gings.
Zug fahren ist in der Türkei auch wunderbar günstig. Für 20 Lira, also ca.12 Euronen gibts den Fahrschein. Inklusive einer ganzen Menge Beinfreiheit: Trotz großem Andrang auf der Strecke werden alle Waggongs nur mit drei Sitzen pro Reihe besetzt, Kaffee, Tee und Bier werden zu studentenfreundlichen Preisen serviert. Davon träumt der deutsche Bahnreisende, Albträume verursacht aber leider die Geschwindigkeit. Acht Stunden dauert die Fahrt insgesamt. Da bleibt vom so genannten Cumhuriyet Expressi höchstens noch die Cumhuriyet (Republik) übrig - und auch da sind sich die Leute ja nicht ganz einig.

Die nächtliche Unterkunft gewährte uns dann freundlicher weise ein Bekannter. Leider floss in seinem Hause grade keine Wasser - Rohre eingefroren. Das wird sich wahrscheinlich bis März auch nicht mehr ändern... Dafür zahlt er für seine Wohnung in 4 Monaten soviel, wie ich in einem. Und einen Garten und anatolische Dorfatmospähre gibts auch noch gratis dazu.

Des Tages verschrieb sich unsere kleine Reisegruppe dann ganz dem Tourismus. Und da gibt es in Ankara erstmal nur das eine: Das Atatürk Mausoleum (ANITKABIR - Grabstätte).
Ein wunderbares Gebäude, das insbesondere durch seine Architektur besticht. Auf der Internetseite des 'Kultur und Tourismus Ministeriums der Republik Tü
rkei' wird die Architektur wie folgt beschrieben: "Der Zeitraum 1940-1950 wird in der türkischen Architektur als "II. Nationale Architektur Zeit" genannt. In dieser Zeit wurden Gebäuden errichtet, deren monumentale Eigenschaften nachdrücklich auftraten, die Symmetrie vorwiegen, Schnittsteine verwendeten. Das Anıtkabir hat die Eigenschaften dieser Zeit an Sich." - eine Erläuterungstafel vor Ort erklärte das ganze dann noch weiter: Im Jahre 1940 wurden 3 Architekten beauftragt, den Komplex zu errichten: Ein Türke, ein Deutscher und ein Italiener. Was sich wie ein schlechter Witz anhört, war aber keiner. Also viel Symetrie und viel monumentale Eigenschaften.

Ausserdem gibt es noch eine Zitadelle zu besichtigen, die weder über der Stadt schwebt noch trohnt, aber trotzdem da ist. Im vorhinein wurden wir schon darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um eine im deutschen Denkmalschutz-gedächtnis-stile renovierte, schnuckelige kleine Burg handele, sondern es noch Mauern und Umgebung im 'ursprünglichen' Zustand zu sehen gäbe. Ja, ja kein Problem denkt sich der Student, da gibts was zu sehen. Also rauf auf den Hügel und rein ins Vergnügen. Dieses verging uns allerdings etwas, nachdem wir die an die Zitadelle grenzenden Häuser sahen. Kleine Holz-, Lehm- oder Betonhäuschen, vereiste Matschpisten, kleine Vorgärten ohne jegliches Grünzeug, einen kleinen Kiosk und streunende Hunde. Aber die kannten wir ja schon aus Istanbul. Nach ein paar Minuten gesellten sich dann auch noch drei kleine Strassenjungs an unsere Seite. Die konnten immerhin mehr Englisch, als so mancher Schulabsolvent - 'What's your name?', 'Photo?', 'Where are you from?'. Bei der Verfolgung unserer langen Schritte verlor der eine seine Schuhe - um Nummer zu groß. Jacken hatte keiner an, obwohl es unter Null war und einen sauberen Waschlappen hatten die kleinen, frangenden Gesichter schon lange nicht mehr gesehen. Alles gepaart mit einer fast grenzenlosen Naivität.
Trotz klarstem Wetter, untergehender Sonne und großartiger Sicht, war das Panorama doch getrübt. Nicht nur unsere kleinen Freunde erzeugten eine Mischung aus Unwohlsein und Mitleid, insbesondere die Aussicht gab Grund zum Nachdenken: Nach altem osmanischem Recht durfte ein Haus, das über Nacht auf öffentlichem Grund und Boden errrichtet wurde nicht mehr abgerissen werden. Dieses (Gewohnheits-)Recht wird auch heute noch "benutzt" bzw. angewandt. Der Name dieser einfachen Behausungen ist: Gecekondu.
Auf diese Weise entstehen an den Rändern der Großstädte sog. Marginalsiedlungen. Keine wirklichen Slums, es gibt zumeist schon Strom, aber wie bei unserem Gastgeber, friert im Winter halt schonmal das Wasser ein, und befestigte Straßen entstehen auch erst mit der Zeit. Die Einwohner dieser Viertel kommen aus den sozial schwachen Schichten, meist Bauern aus Anatolien, die in der Stadt ihr Glück suchen. Auf diese Art und Weise sind die Bevölkerungszahlen sowohl von Istanbul als auch Ankara in den letzten Jahren geradzu explodiert.
In Istanbul kommt einem diese Realität zum erstenmal im Bus zum Flughafen ins Bewusstsein. In Ankara aber beim Blick von der Zitadelle. 15 Minuten Fußweg von der Innenstadt, in absoluter Nahdistanz - Das kam dann schon etwas überraschend und verstärkte den persönlichen Eindruck einer großen und zum Teil fast greifbaren Trostlosigkeit.



Der Versuch das Parlament zu betreten wurde nach 9 Stufen von einem freundlichen Soldaten mit einem einfachen 'No!' beendet...

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